Klang der Farben

Kentauren, Polizeit, Galopp

 

Rita De Muyncks Bilder, die derzeit im Kallmann-Museum zu sehen sind, erweitern synästhetisch das Bewusstsein

 

 

Traumwelten

 

Besonders friedlich sieht "Le Ballet des C´s" nicht aus.  Das Gemälde mit seinen expressiv-dramatischen Hintergrund erinnert eher an einen Albtraum: Seltsame Wesen, halb Pferd halb Mensch, galoppieren heran.  Die Gesichter der schwer bewaffneten Krieger sind nicht zu erkennen, sie tragen Masken, bleiben anonym.  Doch irgendetwas stimmt mit ihren Beinen nicht, sie sind seltsam verdreht.  So ist bestenfalls ein Stolpern möglich.  das hat mit der Musik zu tun, die Rita De Muynck während des Malens hörte.  Erst Ravels "Klavierkonzert D-Dur für die linke Hand", geschrieben für den Pianisten Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte.  Dann legte sie die Beatles auf und ausgerechnet bei "Come Togehter" wurde aus dem gestreckten ein Schweinsgalopp. 

 

Synäshtesie

Die Werke, die im Kallmann-Museum zu sehen sind, hat De Muynck unter verschiedenen Bedingungen gemalt: manche Bilder haben ihren Ursprung tatsächlich in Träiumen, andere entstehen nach berührende Erlebnisse.  Eine dritte Gruppe, zu der das Ballet zählt, entwickelte sie unter gelenkten Synästhesien.  Die Verknüpfung mehrere Sinne, ein neurologisches Phänomen, ermöglicht es, Töne farbig zu hören oder Farben zu schmecken.  Die meisten Wissenschaftler nehmen an, dass die nur fünf bis acht Prozent der Bevölkerung angeboren ist.  De Muynck hällt Synästhesie aber nicht für eine Abweichung der Wahrnehmung, sondern für den von der Natur gedachten Normalzustand, der uns im Laufe der Evolution abhandengekommen ist.  Sie hat eine Methode entwickelt, bei der durch eine Art von Meditation das Bewusstsein so beeinflusst wird, dass Synästhesien auftreten.  

 

Die Forscherin

Die Ausstellung ist ein groß angelegter Versuch, zu erforschen, wie man die Bedingungen eines Museumsbesuchs so gestalten kann, dass andere Wahrnehmungsebenen angesprochen werden.  Und herauszufinden, ob die Besucher dies als Gewinn betrachten.  Die flämische Künstlerin, die in Gent Psychologie und Kommunikationswissenschaften studiert hat, ist auch Wissenschaftlerin.  Durch ein Forschungsstipendium kam sie ans Max-Planck-Institut für Psychiatrie und Neurobiologie in München.  Dort promovierte sie und arbeitete im Bereich der Verhaltensforschung, bevor sie begann Kunst zu studieren.  Seit 1995 arbeitet sie als freischaffende Künstlerin.  Als Museumsleiter Ramsus Kleine sie bat, einen Ansatz für eine andere Art der Kunstwahrnehmung zu entwickeln, sagte sie zu.

 

Intuitiv erfassen

Die bequemen Sitzgelegenheiten im Museum tragen dazu bei, die Wahrnehmung von Kunst zu verändern.  Entspannt auf einer Lederliege fällt es nicht schwer, sich mehr Zeit für die Bilder zu nehmen.  Der Audioguide, der De Muynck entwickelt hat, liefert kaum kognitive Informationen, sondern ermuntert unaufdringlich am Anfang des Rundgangs zum intuitiven Erfassen von Kunst, zum Lauschen, Spüren, Fühlen Innehalten.  Später wird nicht mehr gesprochen, zu hören ist die Musik, die der Bildgestaltung zugrunde liegt.  Wer mehr über das Kunstprojekt erfahren möchte: Rita De Muynck hält an diesem Donnerstag, 24. Oktober (19h) in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste einen Vortrag zum Thema: "Was uns Bewegt.  Ein Plädoyer für  das Emotionale in der Kunst.  Neuere Ergebnisse aus den Verhaltenwissenschaften und der Hirnforschung".

 

Sabine Reithmaier.  Süddeutsche Zeitung Nr. 246, Kultur,  Donnerstag, 24. Oktober 2019 

Montag, Oktober 28, 2019
item1