Was uns berührt

 

 

KUNST FÜR ALLE

 

2017 wurde ich von Rasmus Kleine, Leiter des Kallmann-Museums in Ismaning bei München angefragt, ein Projekt für sein Museum zu entwickeln, das auch von Andreas Kühne begleitet wurde.  Ich hatte vorher bereits in meiner künstlerischen Arbeit damit experimentiert, Synästhesien von Malerei und Musik - auch wenn sie nicht angeboren sind - mental zu generieren und diese in Kunst um zu setzen. Ich konnte mit dieser Methode über Jahre hinweg Erfahrungen in Workshops sowohl mit Kunststudierenden, Kunstkolleg.innen als auch im eigenen Tun sammeln. 

 

In Bezug auf die Kunstwahrnehmung begann ich dann nach Methoden zu suchen, um auch Kunstrezipienten synästhetische Erfahrungen nahe zu bringen und entwickelte eine gelenkte Meditation mit entsprechenden Suggestionen.  Das Vorgehen wurde verschiedentlich unter experimentellen Bedingungen getestet.  Nach geführten Rundgängen durch meine Bilderausstellungen berichteten die Menschen vielfach darüber, dass die Original-Musiken und die Malerei eins wurden und von intensiven, prägenden Erlebnissen. Auch Jahre später konnten Menschen, die ich persönlich nicht kannte und die Kunst-Laien waren, mir noch erzählen, was sie auf den Bildern gesehen und wie sie sich dabei gefühlt hatten.  Die Erfahrungen entsprachen den spezifischen Verknüpfungssuggestionen.  Sie hatten synästhetischen Charakter. 

 

Das Verfahren hatte allerdings den Nachteil, dass es hinsichtlich der Tiefe der Suggestionen und induzierter Trance-Zustände eine persönliche professionelle Begleitung erfordert, was den Einsatz im öffentlichen Rahmen wie in Museen doch begrenzte. 

Hier setzt der neue Ansatz ein.

 

Mein Ziel für das Kallmann Museum war es nicht nur mit Synästhesien zu experimentieren - sondern zu versuchen, die Kunstwahrnehmung der Museumsbesucher.innen allgemein zu erweitern und zu vertiefen und hierfür eine Hilfestellung zu entwickeln.

 

Wenn wir Kunst anschauen oder selbst künstlerisch tätig sind, wird eine Reihe von Gehirn-Arealen aktiviert, die unter anderem mit unserem tiefsten Selbst-Verständnis zu tun haben, wie wir uns in Bezug zu Nahestehenden und in der Welt erleben (1,2). Sie sind außerdem eng verknüpft mit Belohnungszentren, die seit jeher evolutionär von größter Bedeutung sind (3)  Dieses innere Selbstbild wird fortwährend upgedatet.  Das bedeutet, dass Kunst für unsere persönliche Entwicklung als Mensch eine wesentliche Rolle spielt.

Gleichzeitig gibt es zu diesen Arealen „Gegenspieler“, die bei Angst und Bedrohung aktiviert werden und die oben genannten Aktivitäten hemmen.  Eine Folgerung hieraus ist, dass wir möglichst diese Kunst- und Kreativitäts-Areale häufig aktivieren sollen.   Damit werden die entsprechenden Gehirnbahnen verstärkt und ausgebaut und bilden eine gute Barriere gegen Angst und Gefühle von Bedrohung.

 

 

Das Projekt

 

In einem ersten Teil des Projekts wollte ich zunächst ein besseres Verständnis unseres Forschungsobjektes: „Museumsbesucher.innen“ erlangen. Hierfür bildete sich eine Projektgruppe bestehend aus Rüdiger Ullrich, Burkhard Peter, Christoph Mall und mir.

Die Resultate der statischen Auswertung sollten im Kontext verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse und der Hirnforschung interpretiert und eingebettet werden, um im Sinne eines UX-Designs der geplanten Intervention in Teil 2 des Projekts verwendet zu werden.  Hier ging es darum, die Wahrnehmung der Kunst allgemein zu erweitern und zu vertiefen und dies in einem öffentlichen Kontext zu ermöglichen.  

Die Überprüfung erfolgte in einer experimentell angelegten Ausstellung im Kallmann-Museum, im Herbst 2019.

 

 

Teil 1 - die Vorstudie

 

Die Fragestellung hier war: welche Eigenschaften, Werte und Einstellungen haben Besucher.innen von Kunstmuseen, die sie von Nicht-Besuchern unterscheiden. Im Hinblick hierauf wurde uns Zugang gewährt zu der internationalen Forschungs-Community der Psychologen Michal Kosinski der Universität Stanford und David Stillwell der Universität Cambridge (UK).  Wir konnten so teilhaben an einer großen Datenbank, die sie über Jahre erstellt haben.  Untersucht haben wir die Daten von Personen, die angaben, „gerne“ bis „sehr gerne“ Kunstmuseen zu besuchen („Museumsbesucher“), und verglichen diese mit den Werten von Personen, die das nicht tun („Nicht-Besucher“).

 

Die statistische Auswertung zeigt, dass sich beide Gruppen sehr stark voneinander unterscheiden, wobei die Gruppe der Museumsbesucher hoch signifikant fröhlicher, kreativer und offen für Neues sind.  Sie sind toleranter, emotionaler, haben eine höhere Vorstellungskraft, sind intuitiver, empathischer.  Sie verfügen vor allem über Selbstwirksamkeit, sind selbstbestimmter und sind eher spirituellen, geistigen und ästhetischen Dingen zugewandt.

Ein wesentlicher Aspekt betrifft die Emotionalität.  In der Gesamtgruppe fanden wir eine hohe Beziehung zwischen Emotionalität und Vulnerabilität, imSinne von Kränkbarkeit.  Die Museumsbesucher zeigten gegenüber den Nicht-Besuchern  eine gesichert höhere Emotionalität, keine jedoch in Vuneratbilität.  Viel mehr war ihre Emortionalität verlinkt zu Künstlerlische Interessen, Offenheit, Fröhlichkeit, Toleranz, Spiritualität, Kooperation, Empathie und Vertrauen.  Die Nicht-Besucher dagegen, zeigten zwar immer noch eine relativ hohe Emotionalität (obgleich gesichert tiefer als die Besucher), diese jedoch kanalisierte sich vielmehr in Depressivität, Kränkbarkeit, Dominanzstreben. 

 

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass gerade die Aspekte, die die Museumsbesucher auszeichnen mit Gesundheit, Langlebigkeit sowie mit Glück eng zusammenhängen. Außerdem zeigt sich, dass Kunst das Gehirn sowohl in der Hardware wie inhaltlich wachsen und gedeihen lässt. [1]

Darüber hinaus wurde festgestellt, dass gerade durch das Emoitonale, ein hohes Maß an Berührt-sein, die Kunst tiefgehende Veränderungen im Selbst zuwege bringen kann. Die Rezeption der Kunst wird wesentlich prägnanter mit dem subjektiven Erleben verknüpft und vor allem nachhaltig gespeichert. [2]

Dies und die Erkenntnisse aus unserer Forschung stehen im Widerspruch zu der fast ausschließlich auf Bildung und Information ausgerichteten Bilddarbietung. 

 

 

Teil 2 des Projekts

 

Ziel des eigentlichen Projektes war es, in einer Ausstellung mit Bildern von De Muynck einen speziellen Zugang zu Kunst zu schaffen und zwar, sie auf einer körperlich verankerten, emotionalen, intuitiven Ebene erlebbar zu machen (Embodiment). 

 

Die Ausstellung

 

Die Ausstellung „Reframing“ (26.9. - 1.12.2019) war als experimenteller Raum angelegt, in dem zu Beginn, eine spezielle Einführung in sehr bequemen Sesseln stattfand.   Ein meditativ-suggestiver Text, wurde über Kopfhörer angeboten, mit dem Ziel einer emotionalen Sensibilisierung für die Bildbetrachtung in der nachfolgenden Ausstellung zu generieren.  Dazu wurde im ersten Raum das synästhetisch entstandene Bild Q15 zusammen mit der Ursprungsmusik: „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit in der lydischen Tonart“, - die dritte Bewegung im 15. Streichpuartett - von  Ludwig van Beethoven dargeboten. 

In den weiteren Sälen befanden sich Bilder, die unter drei verschiedenen Rahmenbedingungen entstanden waren: in synästhetischem Kontext von Malerei und Musik, Träume und Trance sowie tief berührende Erlebnisse.

 

Die Rückmeldungen

 

Von insgesamt 253 Personen, die Bewertungsbogen ausfüllten, berichteten 206 über positive Veränderungen (also 81,42%).  47 Personen wollten entweder den Text nicht hören, oder blieben im Bewertungsmodus (Ich fand...).  Davon bewerteten 21 die Ausstellung positiv (8%), 13 negativ (5%) und 13 gaben sowohl positive wie negative Bewertungen (5%).

 

Die 206 Responder berichteten durch die Einführung in vielfacher Weise über veränderte und erweiterte Kunstwahrnehmungen, wie

 

·      eine erhöhte Intensität; Bilder werden farbiger, heller, tiefer, persönlicher, werden länger betrachtet; 

·      Kontraste werden verstärkt, starkes Rhythmik-empfinden;

·      Tranceartige Erlebnisse; in die Bilder hineingezogen werden; 3D-Wahrnehmung;

·      Erinnerungen, Träume;

·      Bilder verändern sich, bekommen Eigenleben mit eigener Geschichte;

·      Eigene Bilder, vermischen sich teilweise mit dem auf der Leinwand;

·      Farben, Formen werden besonders auffallend, spezielle Bildpartien und Farben verstärken, verändern und bewegen sich;

·      Bewegungen im Bild und im Selbst-erfahren (z.B. Impuls zu tanzen);

·      Neue Eindrücke; neuer Zugang zur Kunst; Synästhetische Erfahrungen; Fantasie wird angeregt;

·      Ambivalenz-Gefühle werden aufgelöst (etwa zuerst abgestoßen, durch längere Betrachtung sich-einlassen können, versöhnt);

·      Weitere/r Sinn/e wird oder werden getriggert (etwa unbedingt anfassen wollen);

·      Musik passt; ist hilfreich; strahlt auf die anderen Bilder aus

 

Dazu wurde ebenfalls über intensivierte Emotionen berichtet:

 

·      Glücksgefühl

·      Tiefe Entspannung; gutes Gefühl; innere Balance, sich seelisch „weit“

·      Ekstatische Begeisterung; Veränderung des Lebens; Empathische Einfühlung; geöffnet für Neues; Inspiriert selbst zu malen

·      Leichtigkeit; alles ist möglich, alles ist erlaubt; Freiheit

·      Freude; Fröhlichkeit; sich lebendig fühlen

·      Sich geborgen fühlen

·      Sich Teil des Ganzen fühlen

·      Starke körperliche Erfahrungen; Orgiastisch

 

Gleichzeitig wurden bei entsprechenden Bildinhalten (Rohes Fleisch, Leid, Krieg) auch unangenehme Empfindungen angegeben, dies jedoch nur in 14% der Geamtbewertungen.  Die meisten Reaktionen auf solche Bilder sind auch subsumiert unter der positiven Reaktion „Ambivalenz aufgelöst“ - d.h. zuerst wird Abscheu, Scham, Traurigkeit empfunden, dann mit längerer Betrachtung tritt eine veränderte Wahrnehmung ein, ein anderer Zugang, andere Empfindungen.  Das Bild wird irgendwie „verarbeitet“. 

 

Das unmittelbare Erleben, die Wahrnehmung unserer eigenen Empfindungen und Gefühle bei der Bildbetrachtung vertiefen und erweitern unser Kunstverständnis.  Der direkte Zugang erlaubt es, Kunst erfahrbar für mehr Rezipienten und auf einer tieferen Ebene zu machen.

Die situativen Bedingungen für das gefühlsmäßige Sich-einlassens müssen neben der Instruktion allerdings auch stimmen, etwa Zeit, Ruhe, bequeme Sitzgelegenheiten. 

Studien zeigen, dass etwa im Gegensatz zu Abbildungen von Kunstwerken (digital, Foto), vor allem der Ort als Museums und das Zeigen von Originalen eine wichtige Rolle bei der Kunsterfahrung spielt.  Die Betrachtung der Werke dauert signifikant länger, die Kunst wird ebenso gesichert höher geschätzt und ihre Rezeption ist gesichert prägnanter und nachhaltiger (4).

Es wird also wichtig, gerade die Schwellen der Museen zu erniedrigen, damit eine größere Zahl von Mitmenschen mit Kunst in Kontakt kommen können.  Wobei gerade die affektive Annäherung an Kunst diesen Prozess noch einmal begünstigt. „Reframing“ versucht hier einen Beitrag dazu zu leisten. 

 

Letztlich stellt sich heraus, dass der meditative Text für die Einführung vollumfänglich die Absicht, die Wahrnehmung von Kunst zu erweitern, zu intensivieren und zu verändern erreicht hat, obwohl er im Gegensatz zu den früheren Synästhesie-Instrukitonen nur die Hälfte der Zeit dauerte und sehr permissiv aufgebaut war.  Er könnte jetzt im musealen Kontext verwendet werden und mal ein wichtiges Tool für eine andere, neue Art der Kunstwahrnehmung sein.

 

Einen herzlichen Dank möchte ich Rasmus Kleine, Luca Daberto und speziell den Mitarbeiterinnen vom Kallmann Museum bei ihrem sehr engagierten Einsatz zur Prüfung des Audioguides mit dem Instruktionsteil aussprechen.  Und natürlich allen Museumsbesucher.innen und Künstler.innen, die sich der Mühe einer gezielten Rückmeldung unterzogen haben.  Ich werde mich bemühen, es weiterhin für eine allgemeine Einsatzmöglichkeit zu prüfen und weiter zu entwickeln. .

 

Referenzen

[1] Vessel, E. et al: The Brain on art: intense aesthetic experience activates the default mode network. Frontiers in Human Neuroscience, April 2012, Vol. 6, Article 66, S. 1-17

[2] Bolwerk, A. et al: How Art Changes Your brain: Differential Effects of Visual Art production and Cognitive Art Evaluation on Functional Brain Connectivity. Plos, one, July 1, 2014

[3] Rubner, J. & P. Falkai: Das Glück wohnt neben dem Großhirn.  Wie der Kopf unsere Gefühle steuert.  Piper, München, 2018

[4] Brieber et al. In the white cube: Museum context enhances the valutation and memory of art. Acta Psychologica, 154, 2015, 36-42

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