SEHNSUCHT NACH ERLÖSUNG

ARBEITEN VON RITA DE MUYNCK

 

Diözesanmuseum St. Afra

Kornhausgasse 3-5

86152 AUGSBURG

 

Do. 29.9.2016 – So. 4.12.2016

 

Grußwort: Direktorin Melanie Thierbach. M.A.

 

Hochwürdiger Herr Bischofsvikar Knebel, liebe Frau De Muynck, sehr geehrte Damen und Herren,

 

wir haben uns heute zusammengefunden, um eine Ausstellung der belgischen, in München und Schlehdorf lebenden Künstlerin Rita De Muynck zu eröffnen.

Sie trägt den Titel „Sehnsucht nach Erlösung“.

 

Doch was ist hier unter Erlösung zu verstehen?

Die Inhalte der Gemälde und Skulpturen De Muyncks sind sehr vielschichtig und deuten Verschiedenes, oft auch gleichzeitig an. Zugrunde liegt dem die Erfahrung, dass die gesamte Schöpfung immer wieder Verletzungen – seien es innere,

seien es äußere – ausgesetzt ist. Sie bedarf also der Erlösung.

 

Manchmal hat „Erlösung“ eine psychologische Komponente und meint Befreiung, zum Beispiel von Verbitterung, Zwängen, inneren Dämonen, ungünstigen Charaktereigenschaften usw., manchmal ist mit „Erlösung“ das letztliche Loslassen von allem Irdischen angedeutet und hat damit einen transzendenten, wir würden sagen göttlichen Bezug.

 

Es geht im Œuvre De Muyncks um zutiefst menschliche Erfahrungen: Um Urängste und auch um konkrete Gewalt, die sich die Kreaturen der Schöpfung gegenseitig antun. Dabei sind Kriege oder Katastrophen, die Menschen auf der Flucht erleben müssen, genauso angesprochen wie das Leid, das Menschen Tieren zufügen, indem sie zum Beispiel Kälber von ihren Müttern trennen, unwürdige Tiertransporte durchführen und Tiere morden, ohne dass dieses Tun Grundlage für Nahrung wäre.

 

Die Kunst De Muyncks ist von der Empathie für das einzelne Lebewesen geprägt und evoziert ein Mitleiden mit der geschundenen Schöpfung. Dahinter steht immer der Schrei nach Aufhören und damit nach Erlösung. Hierin ist das Werk der Künstlerin zutiefst religiös, auch wenn sie keine konkreten religiösen Motive malt.

 

Das wichtigste Stilmittel im Œuvre Rita De Muyncks ist vor allem die Farbe. Sie ist in ihrem Werk der Symbolträger schlechthin. Oft in Farbblöcken in nur gering abgemischtem Zustand gegeneinander gesetzt, wirken ihre meist großformatigen Gemälde plakativ. Die Botschaft wird meist schon durch die Farbe vermittelt, bei genauerem Hinsehen erschließen sich jedoch durch das Entdecken von Details noch sehr viel subtilere Zugänge als der erste, das Gesamte erfassende Blick, wahrnimmt. Immer geht es dabei auch um Hoffnung. Hoffnung auf das sprichwörtliche Licht im Dunkel, Hoffnung auf Selbstfindung und Weiterentwicklung, Hoffnung auf Erlösung von allen irdischen Qualen durch die göttliche Gnade.

 

 

An dieser Stelle möchte ich meine Ausführungen zum Werk Rita De Muyncks beenden, denn hierzu wird ja gleich noch Herr Dr. Elmar Zorn, der Festredner des heutigen Abends, den ich hiermit herzlich begrüße, einige Bemerkungen machen.

 

 

Lassen Sie mich deshalb nun zum Dank übergehen.

 

An erster Stelle möchte ich die Künstlerin selbst nennen, die uns in ihrer unkomplizierten, offenen, kooperativen und warmherzigen Art alle begeisterte. Liebe Frau De Muynck, wir möchten Ihnen von Herzen für die Anregung der sinnerfüllten Ausstellung und ihre Begleitung danken, die hoffentlich allen Besuchern unter die Haut geht. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass Rita De Muynck so voller Enthusiasmus und Inspiration war, dass zu der Ausstellung noch neue Objekte entstanden sind.

 

In meinen verbindlichsten Dank einschließen möchte ich unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin, Frau Kathrin Rottmann, die in gewohnt professioneller Weise die Ausstellung fast alleine kuratiert hat.

 

Besonders herzlich danke ich auch unserem bewährten Team für den reibungslosen Aufbau der Ausstellung, insbesondere den Herren Reinhold Baumann und Marcus Götz. Danken möchte ich auch unserer Sekretärin, Frau Andrea Ehm, und unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Frau Renate Mäder.

 

Dank gebührt auch allen Kollegen, die mit dieser Ausstellung befasst waren, insbesondere unserem Juristen Herrn Peter Kindermann und Frau Maria Kolb.

 

Vielmals möchte ich auch unserem Grafiker, Herrn Marc Brandner, für Entwurf und Ausführung aller Drucksachen danken sowie den beiden Transporteuren Herrn Hörgl und Herrn Singer für die problemlose Anlieferung der Kunstwerke.

 

Gedankt sei ferner allen Medienvertretern, die über die Ausstellung berichten werden.

 

Zum Schluss möchte ich allen Mitwirkenden des heutigen Abends danken, allen Rednern sowie dem Percussion-Trio Schlag3, das diese Eröffnungsfeier mit seinen kräftigen Klängen – unseres Erachtens passend zu den Objekten der Künstlerin - begleitet.

 

Nun wünsche ich der Ausstellung viele interessierte Besucher, die sich von der Tiefe, die die Kunstwerke Rita De Muyncks ausstrahlen, berühren lassen.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Laudatio: Dr. Elmar Zorn

 

Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Sehnsucht nach Erlösung“ mit Werken von Rita De Muynck
im Diözesanmuseum Augsburg am 28. September 2016

 

Meine Damen und Herren,
wer diese schönen Räume betritt, wird von den Werken in dieser Ausstellung auf merkwürdige Weise berührt. Denn es geht eine ungewöhnlich starke Botschaft von diesen Bildern aus. Die trifft uns ungefiltert, weil sie nicht verschlüsselt ist. Keine ästhetische Schutzschicht ist errichtet, die ablenken könnte. Ihre Aussagen erfassen uns mit ihrer unmittelbaren Wucht. Wir blicken in diesen gegenständlichen Bildern auf gewissermaßen rohe Figürlichkeit – auf Menschen, Tiere und Landschaften ohne Haut.

 

„Under the Skin. Unter die Haut“ heißt denn auch der Titel des 2014 beim Hirmer Verlag München erschienen Buchs, das anläßlich von Rita De Muyncks Doppelausstellung in überlingen in der Städtischen Galerie und der Galerie Walz Kunsthandel herausgegeben wurde. Bezeichnender Weise lautet der deutsche Titel „Unter die Haut“ und nicht „Unter der Haut“. Wenn es „Unter der Haut“ wäre, so ließe sich vieles aufzeigen und auch vielleicht durch eine Bildanalyse objektivieren. Doch Rita De Muyncks Bildsprache ist nicht kühl sezierend. Sie führt den Betrachter in einen emotional aufgeladenen Ausdrucksbereich, nämlich wirklich unter die Haut.

 

Solche speziellen Verfahrensweisen einer unmittelbaren Vergegenständlichung kennt die Kunstgeschichte der Moderne gut: in den Gemälden, Grafiken und Drucken des Expressionismus. Bekanntlich entstanden im Blick auf postimpressionistische Künstler wie Vincent van Gogh und Paul Gauguin Anfang des 20. Jahrhunderts Künstlerbünde, die subjektiven, malerischen starken und innovativen Ausdruck durch Farbexperimenten zu verleihen sich vornahmen, allen voran „Der Blaue Reiter“ und „Die Brücke“. Heftiger, spontan gesetzter Farbauftrag war ihr gemeinsamer Ansatz. Die damals teilnehmenden Maler haben weder ihre Bedeutung noch ihre Wirkung verloren, bis heute. Wir leben - geistig und
in unserer Wahrnehmung - in diesen Form- und Farberfindungen von Künstlern wie Wassili Kandinsky, Franz Marc, August Macke und Gabriele Münter, um nur einige aus dem Kreis der „Blauen Reiter“ zu nennen. Andere Maler sind Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Otto Mueller, Max Pechstein, die alle dem deutschen Expressionismus zugerechnet werden bzw. darüber hinaus dem europäischen, wenn man an Edvard Munch, und in Frankreich an die Fauves und an Robert Delaunay denkt.

 

Wie aktuell der Expressionismus etwa der „Blauen Reiter“ für die zeitgenössische Kunst sich noch heute auswirkt und virulent ist, gerade in unseren Breiten, macht eine Veröffentlichung - wiederum des Hirmer Verlags München - deutlich: „Das Blaue Land 2015. Impulse in die Kunst“. Wie bei
„Unter die Haut“ heißt es grammatikalisch irritierend „in die Kunst“ und nicht „für die Kunst“. Der Titel „Das Blaue Land“ greift die Namensgebung der „Blauen Reiter“ auf. Dem Genius Loci, der ins Leben gerufen wurde, seitdem Gabriele Münter 1909 in Murnau ein Haus erworben hatte, das
zum Zentrum der Künstlergruppe wurde, spüren 100 Jahre nach dem Ende der „Blauen Reiter“ eine andere Gruppierung nach, die sich projektbezogen um den Münchner Künstler Ugo Dossi in seinem neuen Atelier in Neu-Egling bei Murnau, also mitten im Blauen Land, geschart hatten: Bernd Zimmer, Ernst Heckelmann, Nils-Udo, Martin Rosenthal und eben auch Rita De Muynck, die ihr Atelier nicht sehr weit entfernt liegen hat, in Schlehdorf, wiederum nur einen guten Steinwurf weg ist vom Kochelsee, mit dem den See überragenden Museum Franz Marc auf der Anhöhe.

 

 

Dass Rita De Muynck aber nicht nur an Dossis Initiative einer Fortführung der Energieströme und Farbvisionen der Blauen Reiter im Blauen Land thematisch bezüglich teilzunehmen vermochte. sondern auch eigene künstlerische Impulse aussendet, wurde letzten Oktober deutlich. Sie zeigte
ihre wichtigsten Werke in ihrem riesigen Atelier- und Wohnhaus - einer ehemaligen Zementmühle - das sie mit ihrem Mann, dem Autoren und Psychologen Rüdiger Ullrich bewohnt, und lud als Hommage an die Expressionistin Gabriele Münter über die Präsentation des eigenen Oeuvres die Kollegin Joanna Gleich aus Wien und den Malerkollegen Gérard Stricher aus Paris ( mit Atelier im Claude-Monet-Städtchen Vétheuil-sur-Seine ) zu ihrer Ausstellung ein, ihre Werke der Öffentlichkeit vorzuführen, was unter dem Titel „Alles Farbe!“ zu einer wahren Feier explodierender Farben wurde.
Ich hole hier so breit aus, weil ich glaube, daß in Rita De Muyncks von glühenden Primärfarben geprägten Malerei sich eine eigenwüchsige künstlerische Qualität Bahn bricht, als einer Variante expressionistischer Kunst und bislang noch viel zu wenig erkannt ist. Insofern wäre die überschrift
„Die elementare Macht der Farben“ für Gottfried Knapps ganzseitiger Besprechung von Gérard Strichers Ausstellung in der Kunsthalle von „Kunst und Kultur zu Hohenaschau“ am Chiemsee in der SZ im Mai letzten Jahres auf den Punkt zutreffend für die Malerei von Rita De Muynck. Daß Manfred Schneckenburger jüngst in seinem Essay über Stricher exakt dieses Kriterium einer Wiederbelebung expressionistischen Ausdrucks hervorhebt und ausgerechnet Interesse bekundet hat zur Eröffnung der Ausstellung im Museum Kallmann in Ismaning bei München im Februar 2017 zu
sprechen, um solche Verwandtschaft beider teilnehmender Künstler, Gérard Stricher und Rita De Muynck zu erläutern, ist insofern als programmatisch zu bewerten. Auch Schneckenburger, immerhin einer der großen Kunsthistoriker unserer Zeit, hat das Zukunftspotential erspürt, das in
diesen Malereiauffassungen liegt.

 

 

„Ecce Creatura“ - der Titel der kommenden Ausstellung im Kallmann Museum – würde auch für die heute zu eröffnende Ausstellung im Diözesanmuseum Augsburg passen, denn in den Werken von Rita De Muynck geht es sichtlich und fast immer um das Thema der „condition humaine“, die ja immer auch eine „condition religieuse“ in sich birgt und die die Künstlerin ausweitet auf jeder lei
Kreatur, eben auch die Tierwelt.
Mit dem Titel wird der Ausspruch „Ecce homo“ von Pontius Pilatus bei der Vorführung von Jesus Christus paraphrasiert, der ja zu vielen Darstellungen in der Geschichte der Bildenden Kunst geführt hat und also aus dem Kontext des Neuen Testament kommt, anders als das erste Wort des Titels „Sehnsucht nach Erlösung“, das ja zuallererst eines der Schlüsselworte der deutschen Romantik und des Pietismus darstellt. Doch gibt der 2. Teil des Titels „nach Erlösung“ ungleich adäquater wieder, wie sehr der inhaltliche Ansatz der Malerin auf ein Kommendes gerichtet ist. Auf eine bessere Welt nämlich bzw. ein besseres Leben in und mit der Natur, verbunden mit der Hoffnung auf die Erlösung von Schlimmem, wie es im Vaterunser formuliert ist – und gemäß der
gegenwärtigen ökumenischen Fassung heißt: „Und erlöse uns von dem Bösen“. Ein solches Trachten, ein solches Bildprogramm der Künstlerin bildet sich sehr eindrucksvoll in den hier versammelten Werken ab. Die in diesem Sinn wichtigsten Bilder möchte ich daher kurz
kommentieren:

 

„Zerfetzung“:
Übermächtig ist in der Skulptur von 2003 die Vorstellung von der Fragmentierung von Körpern gestaltet. Die „Zerfetzung“ ist in schamanischer Weltsicht ein notwendiger Prozeß, um vom Jugendlichen zum Erwachsenen zu werden, eine Initiation also, denn nach dem In-Stücke-Reißen entsteht eine neue Zusammensetzung. Nach der Auflösung des Körpers geschähe demgemäß eine Erlösung vom alten Körper im Sinne des Themas dieser Ausstellung.

 

„Nature Morte 1“:
Wie wichtig dieses Bild von 2012 der Künstlerin ist, läßt sich aus der Tatsache ermessen, daß ein Ausschnitt aus dem Werk in Acryl auf Leinwand als Umschlagmotiv des großen Hirmer-Buches „Under the Skin“ dient. Der Titel ist ein grimmiges Wortspiel mit dem französischen Ausdruck für das im Deutschen mit dem Terminus Technicus „Stilleben“ belegte Genre der Malerei. Natürlich eignet sich der Begriff „Nature Morte“ im Französischen, dem Lateinischen „Natura Morta“ entnommen, wesentlich besser für die Absichten der Künstlerin. Denn was im Stilleben als idyllisches Arrangement gepflückter Blumen in der Vase, die in ihrem letztem Aufblühen vor demvorzeitigen Welken noch einmal auf ihre organische, mit der Natur verbundene Vergangenheit hinweisen, und vom Menschen als eine Apotheose der Natur mit den Mitteln der Kunst gemeint ist, und ja auch für die Natur für eine kleine Ewigkeit rettet und bewahrt, das überträgt Rita De Muynck auf eine Schlachthaus-Szene mit Rinder-Hälften statt Blumen oder Früchten. Schonungslos deutet sie auf den Tod, den die Rinder durch die Schlachtung erlitten haben, und erhebt ihn ins Allgemeine: die Natur selbst ist geschlachtet, ja hingerichtet worden zum Zecke des Verzehrs durch den Menschen – das ist die Anklage, aber auch die bildnerische Poetisierung in dieser drastischen
Inszenierung.
Die Malerin legt ihre Bildaussage als Studie der Spielarten der Farbe Rot an. Rot steht für das blutige Geschäft des Metzgers. In der Bildmitte jedoch dominiert ein leuchtendes Rosa, ohne konkreten Aussagegegenstand. Im Rosa, der Farbe der Verniedlichung und des Kitsches, wie wir es in der Kinderzimmer-Industrie vor Augen haben, deckt Rita De Muynck einerseits die Perversion solcher Oberflächenaufbereitungen von Natürlichem ins Künstliche auf und entlarvt sie durch ihre wahre Gestalt nämlich nackt und roh zu sein, andererseits führt sie die hingerichtete Natur einer neuen Schönheit zu – der der Bildinszenierung. Diese Paradoxie der Erlösung des Tieres geht dem Betrachter dann wirklich unter die Haut, und soll es auch.

 

„Himmel der Kühe“:
Dieses Hauptwerk aus dem Schaffen von Rita De Muynck ist als Triptychon angelegt. In „Kuh & Kälbchen“ ( rechts ) wird das beginnende Leben aufgerufen und - im Entstehungsjahr des Werkes 1995 - die damals bekannt gewordenen schrecklichen Tiertransporte angeprangert. In der Mitte, 2001 entstanden, sehen wir die grauenhafte Zerstückelung der Kühe zur Zeit der BSE-Suche, als 1.3 Millionen Kühe getötet wurden. In der empathisch-animistischen Auffassung der Künstlerin sind sie alle in den Himmel, eben den Himmel der Kühe, aufgenommen. Links die „Wutkuh“, ihr Schrei ist ein animalischer Protest gegen die betrügerische Handhabung der Subventionspraxis der Prämienzahlung für jedes frischgeborene Kälbchen, das nach dem Nachweis seiner Existenz sogleich umgebracht wurde.

 

„Stürzen.Steigen.Schweben“
Dieses für die Ausstellung wohl am deutlichsten bezügliche Werk stellt Bild als Installation dar, und ist mit subtiler Raffinesse konstruiert. Denn die Malerin muss für ihre Variante des Höllensturzes, einem Hauptmotiv in der christlich-abendländischen Kunst, wie wir es von Peter Paul Rubens in der Münchner Alten Pinakothek kennen, und von Albrecht Dürer über Pieter Brueghels „Sturz der rebellierenden Engel“ sowie Raffael und Tintoretto thematisiert wurde, bis hin zu William Blake, Gustave Doré in seinen Bibelillustrationen und schließlich Marc Chagall. Unsere Malerin hier muss aber nicht etwa die Sphären und die himmlischen Scharen des Himmels und der Hölle aufbieten. Ihr genügt der gemalte blaue Hintergrund des Kosmos mit blaßgelbem Leitstreifen,
fast ale Himmel-Hölle-Aufzug zu bezeichnen, vor dem die zwei ausgestreckten nackten Leiber zu stürzen scheinen, aber gleichzeitig schweben. Wenn das Bild gedreht wird, was Dank des hier geschickt angebrachten Mechanismus leicht möglich ist, auch für die Museumsbesucher, kommen die Stürzenden und Schwebenden in eine Position der Steigenden. In der zeitgenössischen Kunst gibt es meines Wissens - und wohl auch nicht in der kirchlichen Glaubensdidaktik – keinen vergleichbaren eschatologischen Trick, um Stürzenden noch im Schweben die Hoffnung eines Aufsteigens vorzuführen. Das Bild veranschaulicht also Aufsteigende als vorher Gefallene, in ihrer Sehnsucht nach Erlösung. Hier sind die Bühnenmittel des Barocktheaters am Werke. Der Deus ex Machina, nämlich das Diözesanmuseum, und die Dea ex Machina, unsere Malerin, nehmen den Besucher mit in dieser Versuchsanordnung zu einer fröhlichen Glaubens- und Kunstvermittlung!

 

„Il y a Trois Jours“
Der Titel greift eine Redensart aus Afrika auf, in der mit „drei Tagen“ auch eine längst vergangene Zeitspanne gemeint sein kann - insofern eine Poetisierung des Zeitbegriffs, im Gegensatz zum Präzisionswahn üblicher Zeitmessung durch Atomuhren. Wenn man so will, kann man in dieser
Loslösung vom Joch der metrischen Zeiteinteilung, auch eine Erlösung sehen.

 

„Ach ja“ und „Die große Welle“
Das Werk mit dem ungewöhnlichen Titel „Ach ja“ von 2014 kann als das wohlrespektloseste im Schaffen von Rita De Muynck gelten. Denn ihr Seufzer „Ach ja“ gilt den orientierungslos und mit hohler, pseudoapokalyptischer Reitergestik agierenden Soldatenmänner, die angesichts der evidenten Katastrophe der rotbrennenden Welt in Auflösung nicht anderes einfällt, als ihre Gasmasken und Helme als einer überhaut umgestülpt blöde vor sich herzutragen.

 

„Die Große Welle“ von 2016 stellt eine dunkle blau-rosa gefärbte Wolke dar, gleichzeitig eine Welle, die gespickt ist mit Köpfen, die wie Rosinen herausragen aus dem Teig der Wellenwolke – es könnten Flüchtlinge sein, vielleicht auch Touristen, in jedem Fall Erlösungs-Reisende, über einer
mit Pyramiden bestückten Wüste navigierend. Es bleibt offen, ob in der Welle respektive in deWolke zu schwimmen lohnender ist als in der abweisenden Wüste zu verbleiben. Die Treibenden hoffen natürlich, dass die große Welle sie weiter trägt, möglicherweise in den Himmel.

 

„Requiem“
In diesem Werk von 1998 wird eine bemerkenswerte Situation im Wald inszeniert. Ausgebreitet auf dem Boden einer Vertiefung sehen wir einen liegenden toten Körper, In roter Farbstimmung auf der unteren Hälfte des Bildes. Von der oberen Hälfte eines grünschwarzen Waldes blickt ein Wolf en face auf den toten Körper. Er ist das einzige lebende Wesen. Er hält, als Sendbote der Natur, gewissermaßen mit seiner neugierigen Zuwendung zur liegenden Figur das Ritual eines Requiems ab. Die Natur verabschiedet sich in solcher Weise vom Menschen: das ist wohl die Botschaft dieser Mensch und Tier, Mensch und Natur, Leben und Tod alliierenden Darstellung.

 

In „Kuss, Kreuz, Krone“, einem durch Papiermaché gebildeten Halbrelief auf Leinwand, von 2003, wird bildnerisch eine komplexe Geschichte erzählt. Die Künstlerin setzt dem Betrachter eine dichte Verquickung archetypischer menschlicher Existenzbaustein vor, als einer Allegorie des Lebens:
der Kuss steht für Liebe und Verständigung, das Kreuz für physisches Leiden, aber auch für geistige und religiöse Hoffnung, die Krone für die Zivilisation und für die weltlichen Angelegenheiten.Ob der Betrachter somit aufgefordert ist, sich seine eigene Geschichte aus diesen Elementen zu kombinieren und sich so im Bild selber wiederzufinden, hat die Künstlerin nicht festgelegt.

 

„Dona nobis pacem“ von 2014
Sie alle kennen diese flehenden Wortre aus dem „Agnus Dei“- Teil der Gottesdienst-Messen, vielfach umgesetzt in Liedtexte und in Kanon-Kompositionen, am ergreifendsten sicher in Verdis „Missa da Requiem“. Rita De Muynck wendet diese Fürbitte als Titel ihrer gleichnamigen Malerei-Serie an: im Triptychon mit der Kuh, in den Darstellungen mit Lamm, Wolf und Schwein. Thematisiert wird solchermaßen das schwierige, ja das unerlöste Verhältnis zwischen Mensch und Tier in verschiedenen Varianten der Gewalt, des Unverständnisses, aber auch der Zuneigung- wie immer diese zu bewerten ist.
Da Rita De Muyncks Liebe zur Kreatur einer profunden, dauerhaften Einstellung entspringt, hat sie sicher das gute Recht, die eigentlich aufs Liturgische beschränkte Bedeutung der „Dona nobis pacem“ für einen solchen Appell in ihrem Kunstschaffen anzuwenden. Immerhin gab sie den Anstoß für die Ausstellungsplanung von „Ecce Creatura“ - wie schon erwähnt.

 

„Fatschenkinder“
Hinzuweisen als auf eine der Konstanten der Darstellung in Rita De Muyncks Werk ist insbesondere auf die Fatschenkinder, also die mit Binden und Bändern umwickelten Säuglinge. Das Wort kommt aus dem Lateinischen „Fascia“ für Bündel und bezeichnet die jahrtausendealte
Praxis der Säuglingspflege, die auch heutzutage gang und gäbe ist, etwa in Rußland, und deren geistige Vergegenwärtigung bei jedem fantasiebegabten Menschen Panikzustände der Klaustrophobie auslöst.
Wir sehen die Wickelkinder als schwebende Skulpturen in Draht, in Gips, als Malerei und in Zeichnungen und beobachten diese kleinen Kreaturen, wie sie, im Erlösungszustand von ihren Fesseln begriffen, neue Rollen einzunehmen beginnen, im Guten wie auch im Bösen, etwa als kleine Rächer.

 

Meine Damen und Herren,
Rita De Muynck führt uns in dieser Ausstellung die spannenden und immer noch darstellbaren Möglichkeiten expressiver Malerei vor, in einer durchaus eigenständigen – und wie ich meine – faszinierenden Form- und Bildsprache. Ganz unabhängig von ihrer Farbmalerei, in der sie Farbexplosionen und Farbexzesse auf der Leinwand nicht scheut, hat die Künstlerin ein breit aufgefächertes Konvolut von Zeichnungen geschaffen, das zum Besten gehört, was seit den Wiener Aktionisten, also seit Günter Brus in den 1960-er und 1970-er Jahren zu sehen war im zeitgenössischen Kunstgeschehen.
In ihren Tag- und Nachtzeichnungen auf Papier, alle im gleichen Format von 30cm x 30cm, mit Tusche, Tinte, Aquarell, Buntstift und Arcryl, zeichnet sie Träume auf, die die promovierte Psychologin und Philosophin, Universitäts- und Akademiedozentin systematisch evoziert und provoziert hat. Dabei spielen synästhetische Phänomene und solche induzierter Trancezustände eine große Rolle.
Diese Hunderte von außergewöhnlich brillanten Skizzen wurden zwar ausführlich und begeistert gewürdigt von dem Akademielehrer und Kunstexperten Thomas Zacharias oder klug eingeordnet von der Kunsthistorikerin, Psychologin und Bildwissenschaftlerin Christa Sütterlin im großen Hirmer-Buch, doch verdient dieser Teil ihres Schaffens eine separate Auseinandersetzung, die freilich von de m Thema dieser Ausstellung zu weit wegführen würde.

 

Für die Aufmerksamkeit zu meinen Ausführungen über die Thematik „Sehnsucht nach Erlösung“ habe ich Ihnen, sehr geehrte Anwesende, sehr zu danken!

 

Elmar Zorn
( Der Laudator ist Kunst-, Literatur- und Theaterwissenschaftler sowie Ausstellungskurator.
Er lebt in München und Traunstein )

 

Mittwoch, November 2, 2016
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