Würdevoll in Pink und Purpur

Würdevoll in Pink und Purpur

Die meisten von uns essen es ständig, mit Lust und in viel zu großen Mengen. Aber wir sehen es gar nicht gern, bevor es zubereitet auf dem Teller liegt: Rohes, aufklaffendes Fleisch, halbe Rinder, die an Schlachterhaken baumeln - da wenden wir den Blick lieber ab. Rita De Muynck hat eine ganz andere Sicht auf dieses Motiv: "Es erlaubt mir, viele Farbtöne von Rot zu malen." Und das hat sie getan, mit grandioser Wirkung. Das Gemälde der belgischen Künstlerin, die seit 1979 in Schlehdorf arbeitet, bietet eine imposante, harmonische Farbskala von Purpur bis Pink. Und erstaunlich: Der Blick wird gar nicht abgestoßen, vielmehr stark angezogen, nichts an diesem rohen Fleisch wirkt bestialisch, brutal. Wer sich einlässt, genau hinsieht, entdeckt auch, mit welcher Raffinesse die Malerin den aufgeklappten Fleischtrümmern Andeutungen von Kuhschädeln gegeben hat. Das Bild strahlt Würde aus. Jene Würde, die Rita De Muynck den Tieren zubilligt. Kühen besonders, ihnen fühle sie sich schon immer nah, sagt sie. Und diese hier, die geschlachteten, die seien doch "erlöst - nach all der Maloche".

 

"Würde" wäre auch eine passende Überschrift für ein Kunstwerk - eigentlich eine Kunstaktion von Rita De Muynck und ihrem Mann Rüdiger Ullrich. Als vor Jahren in Murnau mehr als hundert Jahre alte Linden auf dem Weg zum Münter-Haus gefällt wurden, bemühte sich das Ehepaar darum, sie zu bewahren: "Diese Linden haben die Leute gesehen, die darunter spazieren gingen: Gabriele Münter, Wassily Kandinsky und all die anderen Künstler", sagt De Muynck. Die Bäume waren bei einem Bauern gelandet, der sie zu Brennholz verarbeiten wollte; die Stämme hatte er bereits in jeweils ein Meter große Stücke zerlegt. Die Künstlerin und ihr Mann erwarben, was noch da war. Und heute steht in einem der 4,5 Meter hohen Räume der ehemaligen Zementfabrik in Schlehdorf, in der die Künstlerin arbeitet, ein eindrucksvolles, drei Meter hohes Bildhauer-Werk: ein Baumstamm, aus dem erhaben der Kopf Gabriele Münters erwächst. Dass an ihrer linken Wange schwarz ein Pilz durchschlägt, gebe dem Werk doch "eine eigene Aussage", findet De Muynck. Tatsächlich: Der schwarze Schatten lässt etwas von der depressiven Seite der Expressionistin ahnen. Sie habe "das Holzgedächtnis" der Linde freigelegt, so beschreibt De Muynck ihr Werk.

Oft macht sich die Künstlerin aber gar nicht so gezielt thematisch an die Arbeit. Farbe ist das Element, mit dem sie wirkt, und so heißt auch die Ausstellung, die am Wochenende eröffnet wird - die erste in der Schlehdorfer Kunstfabrik - "Alles Farbe!" Zwei ausschließlich abstrakt und ebenfalls enorm farbstark arbeitende Gäste sind mit dabei: Joanna Gleich, in Wien lebende Polin, und Gérard Stricher aus Frankreich.

 

 

Diese Fabrik jenseits des Ortsrands von Schlehdorf, ein wenig an den Hang gelehnt, war einst eine Zementmühle, in der Schiefer aus dem benachbarten Steinbruch verarbeitet wurde. Riesige Räume auf vier Etagen bieten dem Ehepaar De Muynck-Ullrich nicht nur eine Wohnung mit Weitsicht auf Kuhweiden, das Schlehdorfer Kloster und die Berge. Sie sind ideale Werkstatt-, Lager-, Feier- und Ausstellungsmöglichkeiten. Im üppig verwachsenen Garten erinnert ein Seerosenteich an Monetsche Impressionen, eine abgetretene Treppe führt zwischen wildem Farn und altem Mauerwerk hindurch ins Grün. Ein romantischer Ort.

Rita De Muynck, die ihr Alter nicht verraten mag, hat ursprünglich Psychologie und Philosophie studiert. Sie lebt seit 1970 in Deutschland und hat ein Zweitstudium an der Akademie der Bildenden Künste in München absolviert. Die Psychologin in ihr, die auch hypnotherapeutisch gearbeitet hat, ist aber vielfach zu spüren. So, wenn sie erzählt, dass sie sich zum Malen oft in selbstinduzierte Trance versetze. Oder wenn sie dem Besucher einen Einblick in die Fülle ihrer "Morgenzeichnungen" gibt. Das sind unmittelbar nach dem Aufstehen mit Tusche zu Papier gebrachte Traumeindrücke. Surreal, wie Träume es eben sind. Eine Figur, die von zwei wurmähnlichen Gebilden eingewickelt wird. Ein kafkaesker Kahlköpfiger im schwarzen Anzug, der schreibt und von einer grünen Woge überschwemmt wird; im Vordergrund gackerndes Publikum. Ein großer schwarzer Kopf, der separat da liegt unter einem rosafarbenen Streifen. Farbe ist in diesen Zeichnungen eher reduziert eingesetzt.

 

Ganz anders, wenn sich die Realität in de Muyncks Bildern austobt. Da wird es schrill. Kreischend pink, neongelb und violett etwa in einem großformatigen Gemälde, das hohl glotzende Männer in Gasmasken zeigt; einer auf einem ebenfalls mit Gasmaske geschützten Pferd reckt eine Lanze in den Himmel. Man assoziiert Krieg, Verwüstung, die Zerstörung der Welt. Und staunt über den Titel: "Ach, ja." Ein Bild aus einer Serie, die sich mit Männern befasst, sagt die Künstlerin. Ihr Mann wird konkreter: "Es zeigt die Überflüssigkeit unserer Sorte", sagt er lakonisch. "Die haben, nachdem alles untergegangen ist, keine Aufgabe mehr, jemanden umzubringen." Seine Frau zeigt sich ein wenig nachsichtiger mit den Männern, spricht von der "Hilflosigkeit" der Spezies und von leeren Gesten.

 

Die Lebensfreude scheint der Künstlerin dabei aber nicht verloren zu gehen. Im Gegenteil, sie lacht viel und strahlt eine ungeheure Lust an der Arbeit aus. Mit viel Farbe - vor allem Acryl - und mit großen Formaten bis zu fünf mal drei Meter aus bester, stabiler belgischer Leinwand. Die zierliche Person, selbst nur 1,60 Meter groß, sagt lachend: "Ich glaube, kleine Leute brauchen was Großes." Das, kann man sagen, gelingt ihr immer wieder.

 

"Alles Farbe!": Rita De Muynck, Joanna Gleich, Gérard Stricher; Kunstfabrik Schlehdorf, Reuterbühler Straße 15. Vernissage am Samstag 10. Oktober, 15 Uhr, Einführung Elmar Zorn, 17 Uhr Lesung Rüdiger Ullrich: "Die Musik der Farben"

 

Felicitas Amler. Süddeutsche Zeitung. Bad Tölz-Wolfratshausen, 9.10.2015

Freitag, Oktober 16, 2015
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